Pisa ist Herausforderung

Spitzenmanager für 107.000 Lehrer

Sie halten deutsche Schulen seit Pisa für das Allerletzte? Da haben wir eine Überraschung für Sie. Abseits larmoyanter Negativ-Schlagzeilen verrichten Bildungsmanager ihre harte Arbeit mit unverkennbarer Spitzenkompetenz: Karl Freller ist Staatssekretär im bayrischen Kultusministerium; sozusagen der Spitzenmanager für 107. 000 Lehrer. Daneben ist er Vorstandsvorsitzender des Bildungspaktes Bayern, einer Stiftung, die sich der besseren Verzahnung von Wirtschaft und Schule verschrieben hat und an deren Stiftungskapital sich namhafte Unternehmen beteiligen.


Spitzenkompetenz: Der Ruf unserer Schulen ist seit der Pisa-Studie arg ramponiert. Von Seiten der Wirtschaft gibt es herbe Kritik. Zu Recht?


Freller: Ohne Frage hat Pisa gezeigt, dass einige Länder bildungspolitischen Aufholbedarf haben. Die Skepsis vieler Unternehmern ist deshalb nicht überraschend. Man muss aber auch genau hinsehen: In Bayern können wir darauf verweisen, dass wir zusammen mit Baden-Württemberg im Bundesvergleich mit Abstand am besten dastehen. Unabhängig davon wollen wir uns damit aber nicht begnügen. Unser Ziel ist es, auch international an die Spitze zu kommen.
Spitzenkompetenz: Starke Worte – was unternehmen Sie dafür?

Der Bildungsmanager - Staatssekretär Freller als Vorstandsvorsitzender des Bildungspakts Bayern 

Freller: Wir sind schon dabei, unsere Hausaufgaben zu machen. Es passiert derzeit eine ganze Menge.


Spitzenkompetenz: Zum Beispiel?


Freller: Entsprechend den Erfahrungen aus PISA arbeiten wir beispielsweise in allen Schularten und Fächern an der Verbesserung der Unterrichtsqualität und an den Aufgabenstellungen. Wir müssen weg von der Reproduktion auswendig gelernten Wissens, hin zum eigenständigen, vernetzten Denken. Mit dem konsequenten Ausbau von Ganztagsangeboten verbessern wir auch die individuelle Förderung von Schülerinnen und Schülern.


Spitzenkompetenz: Was bringt das konkret?


Freller: Schüler, die vormittags etwas nicht verstanden haben, können bei ganztägiger Förderung nachmittags noch einmal besonders unterstützt werden. Die ganztägige Förderung kommt besonders auch jenen Schülern zugute, die keine oder nur geringe Unterstützung durch das Elternhaus haben.


Spitzenkompetenz: Was die Eltern verschlafen, muss die Schule ausbügeln?


Freller: So verkürzt stimmt das nicht. Selbstverständlich müssen Eltern und Schule zusammenarbeiten, sie bilden eine Verantwortungsgemeinschaft. Aber es gibt Eltern, die aufgrund beruflicher Verpflichtungen oder aus anderen Gründen heraus nur beschränkte Möglichkeiten haben, ihre Kinder schulisch zu unterstützen. Hier muss die Schule einspringen. Sonst gewinnen Fernsehen, Video und Internet als Erzieher die Vorrangstellung.


Spitzenkompetenz: Didaktische Reformen und Ganztagsangebote - reicht das aus für die bildungspolitische Wende?


Freller: Natürlich darf die Diskussion nicht bei Aufgabentypen und Formen der Schulorganisation stehen bleiben. Pisa muss uns auch zu einer gesamtgesellschaftlichen Grundsatzdiskussion über Erziehungsziele führen. Im Küblböck-Zeitalter, in dem einzelne Teenie-Idole durch geschickte Medienkampagnen zu Superstars gepuscht werden, sollten wir der Jugend beispielsweise deutlich machen, dass sie nicht auf TV-Shows zählen darf, wenn es um ihre Zukunft geht.


Spitzenkompetenz: Worauf dann?


Freller: Seien wir doch ehrlich: Im wirklichen Leben gelangt man nicht durch Casting-Shows zum Erfolg, sondern nur mit Tugenden wie Leistungsbereitschaft und Beharrlichkeit. Dies mag zwar sehr konservativ klingen, ist heute aber notwendiger denn je. Wir müssen den Kindern und Jugendlichen im Übrigen auch den Blick für Kunst und Kultur stärker öffnen. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, dass wir unsere Kinder dazu bringen, öfter auch einmal ein Buch in die Hand zu nehmen.


Spitzenkompetenz: Müssen wir der Jugend den Marsch blasen?


Freller: Das sicher nicht. Die überwiegende Mehrheit unserer Kinder und Jugendlichen ist viel besser als ihr Ruf. Bei meinen zahlreichen Schulbesuchen und Begegnungen mit Schülerinnen und Schülern bekomme ich aus erster Hand mit, was die Jugend alles auf die Beine zu stellen vermag. Da gerät man oftmals ins Staunen.


Spitzenkompetenz: Was braucht die deutsche Jugend, um international wieder in Sachen Spitzenkompetenz mitreden zu können?


Freller: Ich meine, wir müssen unseren Kindern wieder Mut machen. Anstatt ständiger vorurteilsgeprägter Diskussionen über angeblich schwache Wirtschaft und mangelhaftes Unternehmertum brauchen sie Ermutigungen zu mehr Flexibilität, Innovationskraft und Unternehmergeist in allen Lebenslagen. Mit Weinen und Wehklagen kommen wir nicht weiter.


Spitzenkompetenz: Es scheint so, als seien viele Verantwortliche aus allen Wolken gefallen, als die Studie kam. Sind die Warnlampen bei Ihnen erst mit Pisa angegangen?


Freller: Natürlich nicht. Gerade in Bayern haben wir trotz jahrzehntelanger harter politischer Angriffe von verschiedenen Seiten schon vor Pisa unbeirrt am Qualitäts- und Leistungsgedanken festgehalten. Wir haben - wo es notwendig war - auch Reformen angepackt. Deswegen haben wir ja bei Pisa vergleichsweise gut abgeschnitten.


Spitzenkompetenz: Was passierte bereits vor Pisa?


Freller: Wir haben die Lehrpläne für alle Schularten von verzichtbarem Spezialwissen befreit und gleichzeitig das Basiswissen sowie die Kernkompetenzen gestärkt. Wir waren auch die Ersten, die umfangreiche Maßnahmen der internen Evaluation eingeführt haben. Alle Drittklassler in Bayern schreiben in Deutsch und Mathematik inzwischen verpflichtende Orientierungsarbeiten, für alle Schülerinnen und Schüler der weiterführenden Schulen gibt es Jahrgangsstufentests in Deutsch, Mathematik und in Zukunft auch Englisch. Einen wesentlichen Anstoß hat der Prozess der Inneren Schulentwicklung in Bayern vor 5 Jahren durch die Gründung der Stiftung Bildungspakt Bayern bekommen. Die Stiftung unterstützt auch unsere inzwischen 37 bayerischen MODUS-Schulen, die eine absolute Vorreiter-Rolle bei der Schulentwicklung einnehmen. MODUS21 ist die Abkürzung für „Modell Unternehmen Schule im 21. Jahrhundert“. Das Modell lässt Schulen selbstständiger werden, unternehmerisches Denken entwickeln und mehr Verantwortung übernehmen.


Spitzenkompetenz: Unternehmen Schule? Sind Unternehmen und Schule nicht eher Gegensätze?


Freller: Das war einmal. Inzwischen haben wir im schulischen Bereich Strukturen eingeführt, wie sie auch die Wirtschaft bei der Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung kennt. Wir haben zum Beispiel eine eigene Qualitätsagentur gegründet, die ein flächendeckendes Bildungsmonitoring als Grundlage für eine empirische Bildungsberichterstattung ermöglicht.


Spitzenkompetenz: Von Seiten der Wirtschaft wird angemahnt, dass die Vorbereitung auf die Berufswelt nicht ausreicht. Wie sieht die Staatsregierung diesen Vorwurf?


Freller: Eine solche Sichtweise ist inzwischen deutlich überholt und sie wird mit jedem Schuljahr überholter. Auch wenn das einige noch nicht mitbekommen haben: Unsere Schulen bereiten inzwischen gezielt aufs Berufsleben vor.


Spitzenkompetenz: Wie sieht das konkret aus?


Freller: Bayern hat zum Beispiel als einziges Bundesland neben Thüringen an allen weiterführenden Schulen ein eigenes wirtschaftskundliches Pflichtfach für die Vermittlung ökonomischer Grundkenntnisse eingeführt. An den Hauptschulen ist dies das Fach Arbeitslehre, an Realschulen und Gymnasien das Fach Wirtschafts- und Rechtslehre. An vielen bayerischen Schulen werden Betriebserkundungen, berufskundliche Praktika, Unternehmensplanspiele oder Unternehmensgründungswettbewerbe durchgeführt.


Spitzenkompetenz: Reicht das?


Freller: Gerade bei den Hauptschulen wollen wir unsere Anstrengungen in Zukunft verstärken. Der Unterricht soll noch praxisorientierter, die Vorbereitung der Schülerinnen und Schüler auf die Arbeitswelt soll weiter verbessert werden. Insbesondere die Kooperation mit externen Partnern auch aus der Wirtschaft werden wir weiter ausbauen. Aber auch unsere Planungen für die Oberstufenreform am Gymnasium sehen vor, die Verzahnung der schulischen Ausbildung mit Wirtschaft und Arbeitswelt auf der einen Seite und mit der Hochschule auf der anderen Seite zu optimieren. So werden wir zwei Seminare einführen, in denen die berufliche Orientierung gefördert und das wissenschaftliche Arbeiten eingeübt werden sollen.


Spitzenkompetenz: Wie wird die oft beklagte Synchronisierung zwischen Schule und Wirtschaft verbessert?


Freller: Da laufen viele Projekte. Ein schönes Beispiel dafür ist der Modellversuch „kobas“ zur Verbesserung der Kooperation zwischen Berufsschulen und Ausbildungsbetrieben im dualen System der Berufsausbildung. Auf ganz verschiedenen Feldern findet hier eine sehr erfolgreiche Zusammenarbeit statt. Insbesondere geht es um eine optimale Passung schulischer und betrieblicher Ausbildung. Sie wird angestrebt zum Beispiel durch Betriebspraktika für Lehrkräfte und Schulpraktika für betriebliche Ausbilder. Darüber hinaus werden gemeinsam Tests entwickelt, die sowohl das für die Schule als auch für den Ausbildungsbetrieb erforderliche Eingangskönnen überprüfen. Sogar gemeinsame Lösungsstrategien bei Disziplinproblemen werden entworfen.


Spitzenkompetenz: Werden Lehrer in ihrer Ausbildung künftig in stärkrer Weise für die Bedürfnisse der Wirtschaft sensibilisiert?


Freller: Wir haben die Lehrerausbildung in Bayern in den letzten Jahren auch unter der Zielsetzung einer größeren Praxisorientierung wesentlich reformiert. Die typische, relativ einseitige Lehrerkarriere, die von der Schule über die Universität wieder zurück in die Schule geht, gehört der Vergangenheit an: Studierende aller Lehrämter, die ihr Studium nach dem Wintersemester 2002/03 aufgenommen haben, müssen in Zukunft verpflichtend ein 8-wöchiges Betriebspraktikum in einem Produktions-, Weiterverarbeitungs-, Handels oder Dienstleistungsbetrieb aufnehmen. Lehramtsstudierende mit dem Unterrichtsfach bzw. dem vertieft studierten Fach Wirtschaftswissenschaften haben darüber hinaus verpflichtend ein 3- bzw. 6-monatiges kaufmännisches Praktikum abzuleisten.


Spitzenkompetenz: Gibt es auch Projekte, bei denen Schule und berufliche Weiterbildung sich austauschen?


Freller: Auch im Bereich der Weiterbildung sorgen wir dafür, dass unsere Lehrkräfte auf dem aktuellen Stand bleiben. Unter anderem existiert eine umfangreiche Zusammenarbeit mit dem Bildungswerk der Bayerischen Wirtschaft im Rahmen des Studienkreises Schule – Wirtschaft Bayern, einem Dachverband für weitere rund 100 regionale Arbeitskreise Schule - Wirtschaft, in denen sich Lehrer aller Schularten sowie Führungskräfte verschiedenster Wirtschaftszweige miteinander austauschen. Besondere Höhepunkte stellen jährlich die Wirtschaftsphilologentage an der Universität Passau dar, in deren Rahmen sich Lehrkräfte mit den neuesten Entwicklungen in Wirtschaft und Recht beschäftigen. Jährlich treffen sich ca. 300 Teilnehmer in Passau.


Spitzenkompetenz: Die meisten Lehrer kennen die Wirtschaft nur aus der Zeitung. Was unternehmen Sie dagegen?


Freller: Eine ganze Menge. Ein höchst attraktives Angebot für Lehrerinnen und Lehrer bieten zum Beispiel Projekte wie „Lehrer im Chefsessel“ oder „Lehrer in die Wirtschaft“, die wir in Zusammenarbeit mit dem Bund junger Unternehmer respektive mit dem Verband der Bayerischen Wirtschaft aus der Taufe gehoben haben. Beim Projekt „Lehrer im Chefsessel“ werden Lehrkräfte für einen eintägigen, beim Projekt „Lehrer in die Wirtschaft“ sogar für einen einjährigen Einsatz in einem Wirtschaftsunternehmen freigestellt. Lehrer an beruflichen Schulen leisten im Übrigen regelmäßige Betriebspraktika ab, ohne die eine Beförderung an staatlichen Berufsschulen unmöglich ist.


Spitzenkompetenz: Wenn wir die vielen positiven Impulse betrachten, die Sie uns geschildert haben, verwundert uns die starke öffentliche Kritik an der Arbeit.


Freller: Man muss hier sehr klar zwischen öffentlicher und veröffentlichter Meinung unterscheiden. Die PISA-Studie etwa hat eindeutig dokumentiert, dass in Bayern die Zufriedenheit der Eltern mit der Arbeit der Schulen sehr hoch ist. Das ist für uns eine klare Bestätigung. Die veröffentlichte Kritik argumentiert ungeachtet dessen leider oftmals sehr pauschalisierend.


Spitzenkompetenz: Das muss Ihnen doch sauer aufstoßen!


Freller: Ich bedauere dies tatsächlich sehr. Allein der Blick auf alle eben diskutierten Maßnahmen und Projekte, die an bayerischen Schulen zum Teil in Kooperation mit der Wirtschaft laufen, ergibt ein völlig anderes Bild: Es ist wirklich Bewegung in Schule und Unterricht gekommen! Ich kann mit Stolz sagen, dass wir an den bayerischen Schulen alles tun, um den Bildungs- und Wirtschaftsstandort zu sichern und uns eine internationale Spitzenstellung zu erobern. Dabei ist besonders zu betonen, dass all diese Initiativen auf schulischer Seite natürlich nur durch die Arbeit und das Engagement unserer Lehrerinnen und Lehrer möglich sind. Ich denke, für Larmoyanz ist in unserer Zeit kein Platz mehr. Den Mutigen und den Machern gehört die Zukunft!


Spitzenkompetenz: Vielen Dank für das Gespräch