Liberales Format für Deutschland


Interview mit Herrn Wolfgang Gerhardt


Spitzenkompetenz: “Herr Dr. Gerhardt, die wirtschaftliche Situation in der Bundesrepublik ist schwierig, die Bürger sehnen sich nach einem Ruck. Können die Liberalen dazu etwas Konkretes anbieten?”


Wolfgang Gerhardt: Ja, natürlich. Wir sind die Partei, die das klarste Programm in allen wichtigen Bereichen vorweisen kann. Drei kurze Beispiele: Wir wollen ein einfaches und faires Steuersystem für alle einführen. Dazu haben wir als Einzige sogar schon einen Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht. Es soll nur noch drei Steuertarife geben: 15, 25 und 35 Prozent. Momentan sind es noch sieben. Jeder Bürger hat in unserem Modell einen Steuerfreibetrag von 7.700 Euro. Das gilt auch für Kinder. So zahlt eine Familie mit zwei Kindern erst Steuern ab 30.800 Euro im Jahr. Da bleibt viel Geld in den Taschen der Bürger. Wichtig ist auch, dass wir den Mittelstand als Deutschlands Job-Motor entlasten: Wir wollen die Öffnung des Flächentarifvertrages, damit in den Betrieben selbst die passenden Tarifverträge abgeschlossen werden können. Wir wollen die Arbeit flexibler gestalten und zum Beispiel auch einen freigestellten und vom Betrieb bezahlten Betriebsrat erst ab 500 Mitarbeitern einrichten. Die FDP will auch endlich den Bürokratie-Dschungel lichten. Er belastet die deutschen Unternehmen mit rund 46 Milliarden Euro pro Jahr. So wollen wir durch ein Rechtsbereinigungsgesetz alle bestehenden Gesetze überprüfen, ob sie überhaupt erforderlich sind. Sind sie nicht mehr nötig, sollen sie aufgehoben werden. Wir brauchen auf allen Ebenen wieder mehr Handlungsfreiheit: Für die Bürger, für die Betriebe. Dafür setzen wir uns ein.


Spitzenkompetenz: Wie sehr ist die Stimmung für die Entwicklung der Wirtschaft von Bedeutung?


Wolfgang Gerhardt: Wirtschaftliche Entwicklung hat viel mit Stimmung zu tun. Das ist eine altbekannte Tatsache. Sollte es am 18. September zu einer neuen Regierung kommen, werden wir auch einen Stimmungsaufschwung in Deutschland brauchen. Deutschland ist ein starkes Land mit unendlich vielen Möglichkeiten und Kompetenzen. Wir müssen wieder mit mehr Mut an unsere Zukunft herangehen. Wir sind stark genug. Dazu will die FDPeinen politischen Beitrag leisten, gerade auch mit den bereits genannten Vorschlägen für eine große Steuerreform oder für eine Flexibilisierung der Wirtschaft. Wir wollen den Menschen wieder die Möglichkeit geben, ihr Leben und ihre Zukunft in die Hand zu nehmen, ohne staatliche Gängelung. Wir brauchen mehr Selbstbewusstsein.


Spitzenkompetenz: Bei allen Ideen, die von liberaler Seite zur Wirtschaftspolitik kommen, wird die Nicht-Finanzierbarkeit unterstellt. Wie kommentieren Sie diesen Einwand?


Wolfgang Gerhardt: Dieser Einwand ist falsch. Eine Flexibilisierung des Flächentarifvertrages zum Beispiel kostet überhaupt kein Geld. Es kostet auch keinen Cent, das Kündigungsschutzgesetz, das jetzt bereits ab 10 Mitarbeitern gilt, zu öffnen, und es künftig erst bei Betrieben ab 50 Mitarbeitern anzuwenden. Es kostet nichts, bringt aber mehr Arbeitsplätze, da die Betriebe schneller einen neuen Arbeitnehmer einstellen, wenn sie wissen, dass man sich auch wieder ohne Gerichtsverfahren voneinander trennen kann. Es geht nicht um „hire and fire“. Der Arbeitnehmer bleibt natürlich durch die Kündigungsvorschriften des BGB geschützt.


Spitzenkompetenz: Herr Dr. Gerhardt, der Abbau von Bürokratie ist ein wichtiges Anliegen der liberalen Politik. Welche Schwerpunkte setzen Sie dabei?


Wolfgang Gerhardt: Insgesamt betrachtet sehen sich kleine und mittelständische Betriebe mit immensen Bürokratielasten konfrontiert, die unternehmerisches Handeln in Deutschland – insbesondere Unternehmensneugründungen jenseits der subventionierten Ich-AGs – unattraktiv gestalten. Einige Schwerpunkte, wie das Rechtsbereinigungsgesetz, hatte ich ja vorhin schon genannt. Zusätzlich dazu müssen wir die Sozialversicherungen reformieren. Diese Reformen werden zum Beispiel das Gesundheitssystem gerechter, einfacher und damit transparenter machen. Und je einfacher und transparenter etwas ist, desto weniger Bürokratie fällt an. Gerade im Gesundheitswesen kann man durch Wettbewerb und Wahlmöglichkeiten zwischen den Kassen enorme Bürokratiekosten sparen. Allerdings – und das möchte ich hinzufügen, wird es in unserem Modell auch eine Pflicht zur Versicherung geben und wer finanziell hilfsbedürftig ist, bekommt selbstverständlich staatliche Hilfe.


Spitzenkompetenz: Die Rolle des Mittelstandes ist von großer Bedeutung. Ist er denn noch zu retten und welche Angebote haben Sie dazu?


Wolfgang Gerhardt: Ganz wichtig ist für uns, dass wir einen einheitlichen Steuersatz von 25 Prozent für alle Unternehmen einführen wollen. Im Gegenzug dazu wird die Gewerbesteuer komplett wegfallen. Das entlastet vor allem die kleinen und mittleren Betriebe, die ja die Gewerbesteuer immer brav bezahlen. Die FDP will auch endlich die Anbindung der Sozialbeiträge von den Lohnzahlungen abkoppeln. Der Arbeitgeberanteil zum Beispiel zu den Krankenkassen soll dem Arbeitnehmer ausbezahlt werden. Das sind ganz wesentliche Entlastungen für jeden Betrieb. Aber auch der Arbeitnehmer stellt sich besser, denn er kann mit diesem Geld die für sich passende Krankenkasse und den für sich passenden Krankenschutz auswählen, ohne dass ihm das staatlich vorgeschrieben wird. Unterm Strich hätten also alle mehr davon.


Spitzenkompetenz: Die Konzerne und Banken machen dem Mittelstand erhebliche Probleme. Kann die Politik dabei regulieren?


Wolfgang Gerhardt: Die Politik soll nicht regulierend eingreifen, sondern muss die Rahmenbedingungen insgesamt verbessern. So wirkt auch die immer restriktivere Regulierung der Geschäftsbeziehungen zwischen den Banken und Unternehmen als Hemmnis bei der Finanzierung und insbesondere bei der Kreditvergabe. Basel II war eher Vorwand, aber nicht Anlass für eine zurückhaltende Kreditvergabe. Es belasten vor allem viele gesetzliche und verwaltungstechnische Überreglementierungen die Finanzierung kleiner und mittlerer Betriebe. Hier müssen wir Regulierungen zurückfahren, nicht neue hinzufügen.


Spitzenkompetenz: Welche Bedeutung sehen Sie im Bereich von Bildung, Weiterbildung und Qualifizierung im Mittelstand?


Wolfgang Gerhardt: In einer globalisierten Welt, in der in sekundenschnell Informationen einmal um den Globus geschickt werden, ist lebenslanges Lernen und Hinzulernen notwendig. Bildung und Ausbildung, nicht nur an der Schule, sondern auch in den Betrieben, in Forschung und Wissenschaft, ist unser einziger Rohstoff. Wir haben keinen anderen. Bisher aber nutzen wir diesen wertvollen Rohstoff nicht genügend. Bildung und Lernen, auch im Alter, wird über unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit entscheiden. Wenn ein Betrieb in die Ausbildung seiner Mitarbeiter investiert, auch in die Weiterbildung seiner älteren Mitarbeiter, dann investiert er in seine eigene Zukunft.


Spitzenkompetenz: Welches Konzept hat Ihre Partei um diese Bereiche zu fördern?


Wolfgang Gerhardt: Bildung und Ausbildung fängt bei den Kindern an und somit auch bei den Familien. Ich sagte ja schon, dass unser Steuerkonzept einen Freibetrag von 7.700 Euro pro Kind vorsieht. Das entlastet die Familien finanziell, somit bleibt mehr Geld für eine bessere Ausbildung der Kinder übrig. Zudem fordern wir, dass der Halbtageskinderbetreuungsplatz vom 3. bis zum 6. Lebensjahr kostenlos sein soll. Damit lassen sich Familie und Beruf, vor allem für die Frauen, besser vereinbaren. Die FDP fordert auch als Startklasse für alle Kinder, ein verbindliches letztes Kindergartenjahr mit individueller Förderung. Gehen wir noch einen Schritt weiter: Schulen sollen das Recht haben, Lehrer selbst einzustellen und den Unterricht selbst zu organisieren. Das hebt die Qualität des Lehrangebotes. Das soll sich dann an den Universitäten fortsetzen. Die Hochschulen müssen autonom und wettbewerbsfähig werden. Sie sollen sich ihre Studierenden selbst aussuchen können und umgekehrt. Dazu gehört natürlich auch die Erhebung sozialverträglicher Studiengebühren. Sie sollen allein den Hochschulen zu Gute kommen und die Qualität der Lehre und Forschung verbessern. Wenn diese Studierenden dann auf den Arbeitsmarkt kommen, haben sie ein gutes Niveau. Ab diesem Zeitpunkt sind dann die Betriebe gefragt. Wer auf Dauer wettbewerbsfähig bleiben will, der wird in die Weiterbildung seiner Mitarbeiter investieren. Große Pädagogen wussten allerdings auch immer, dass Bildung etwas mit Erziehung zu tun hat. Ein Mindestmaß an zivilisatorischer Mitgift von Elternhäusern ist unverzichtbar.


Spitzenkompetenz: Liberale Werte sind weich geworden und sogar in Verruf gekommen. Jeder interpretiert sie nach eigener Laune. Von Manchester-liberal bis linksliberal, wo positioniert sich die FDP heute?


Wolfgang Gerhardt: Ich kann nicht sehen, dass liberale Werte weich geworden sind. Wir stehen nach wie vor für mehr Freiheit des einzelnen Bürgers auf allen Ebenen gegenüber dem Staat. Unser Bild ist das des souveränen Bürgers, der eigene Entscheidungen treffen kann und will. Nur wenn ein Bürger eine gewisse Handlungsfreiheit hat, kann er diese auch nutzen, zum Vorteil aller. Nicht der Staat gewährt dem Bürger Freiheit, sondern der Bürger gewährt dem Staat Einschränkungen seiner Freiheit zur Wahrung der Sicherheit, des sozialen Friedens und der Rechte aller. Für dieses Gleichgewicht zwischen staatlichem Handeln und der Freiheit des Einzelnen setzen wir uns ein. Das ist unser Verständnis von der Kultur der Freiheit zu der auch die Verantwortung für andere gehört.


Spitzenkompetenz: Ist es noch die Partei des Hans-Dietrich Genscher, eines Walter Scheel, eines Klaus Kinkel und auch einer Hildegard Hamm-Brücher (obwohl diese ja nicht mehr in der Partei ist)?


Wolfgang Gerhardt: Die von Ihnen genannten Persönlichkeiten haben das Gesicht und den Charakter der FDP auf ihre Weise geprägt. Ihr politisches Erbe ist uns wichtig und in deren Tradition stehen wir. Aber wir müssen selbstverständlich auch auf die Herausforderungen der Gegenwart reagieren und auf die Fragen der Zukunft eine Antwort haben. Wir sind und bleiben die Freiheitspartei im Gegensatz zur Staatsorientierung unserer Konkurrenten. Das Beste was wir haben, ist unsere freiheitliche Verfassung. Aus ihr kommt auch die Kraft zur Erneuerung.


Spitzenkompetenz: Was ist Ihr persönliches, politisches Ziel?


Wolfgang Gerhardt: Die nächste Wahl zu gewinnen.


Spitzenkompetenz: Wie sichern Sie sich den Bezug zur Basis?


Wolfgang Gerhardt: Meine Familie und Freunde, vor allem außerhalb der Politik, tragen viel dazu bei, dass ich den Bezug zur Basis nicht verliere.


Spitzenkompetenz: Herr Dr. Gerhardt, Sie sind Vollblut-Politiker, Berufspolitiker und viele Jahre in diesem Geschäft, wie läßt sich Politik und Privatleben verbinden?


Wolfgang Gerhardt: Indem man sich klar darüber wird, was das Leben lebenswert macht und Wichtiges von Unwichtigem trennt.


Spitzenkompetenz: Welche Werte sind Ihnen ganz persönlich wichtig?


Wolfgang Gerhardt: Berechenbarkeit, klare Linie und Menschlichkeit.