Derzeit spricht jeder vom wirtschaftlichen Aufschwung und der Überwindung der Krise. Glauben Sie, dass der Aufschwung schon bei allen angekommen ist?

 

In der Tat sprechen bereits viele wieder vom wirtschaftlichen Aufschwung. Aber gerade als Exportnation müssen wir die Entwicklungen im Euroraum intensiv verfolgen. Noch sind die Folgen der Finanzkrise nicht überstanden. Es wird auch nicht genug getan, um Regulierungsmechanismen zu schaffen, damit eine solche Krise sich nicht wiederholt. Bei den ärmeren Menschen und vielen Familien kommt der Aufschwung bisher nicht an. Sei es, weil sie in Leiharbeitsverhältnissen beschäftigt sind, sei es, weil sie auch in regulären Beschäftigungen viel zu wenig verdienen. Deshalb wollen wir mit einem Mindestlohn von 7,50 Euro eine Untergrenze festlegen, damit wieder mehr Menschen von ihrer Arbeit leben können. Auch in der Leiharbeit und Weiterbildungsbranche sehen wir die Notwendigkeit für spezifische Mindestlöhne. Ein dauerhafter Aufschwung braucht auch eine breite Inlandsnachfrage, braucht Kaufkraft in der Breite. Wichtig wären jetzt auch deutliche Impulse für die ökologische Modernisierung. Eine rückwärtsgewandte Politik, die z.B. mit der Atomenergie alte und gefährliche Strukturen zementiert, blockiert den möglichen Aufbruch in das Zeitalter des nachhaltigen und ökologischen Wirtschaftens.

Angesichts einer staatlichen Neuverschuldung von 50 Milliarden Euro setzen wir auf eine solide Haushalts- und Finanzpolitik. Wir brauchen auch einen solidarischen Beitrag von Menschen mit „breiten Schultern“, die mehr tragen können und plädieren deshalb für eine zeitlich befristete Vermögensabgabe für sehr Reiche in Deutschland. Wer angesichts der jetzigen Lage der Haushalte Steuersenkungsphantasien streut, betreibt keine seriöse Politik.

 

Welche speziellen, neuen Akzente würden Sie in Regierungsverantwortung in der Bildungspolitik setzen?

 

Bildung beginnt schon ganz früh, die wichtigen Weichen werden in den ersten Jahren gestellt. Daher soll es in unserem Land einen Rechtsanspruch auf eine qualitativ hochwertige und ganztägige frühkindliche Betreuung für Kinder ab dem ersten Lebensjahr geben, verbunden mit einem flächendeckenden Angebot an Kitas, Kindergärten und Ganztagsschulen.

Pädagogische Arbeit mit Kindern ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Perspektivisch sollen alle Erzieherinnen und Erzieher auf Hochschulniveau ausgebildet werden.

Regelmäßige Weiterbildung muss Pflicht werden, Genderkompetenz, interkulturelle Kompetenz und das Respektieren gesellschaftlicher Vielfalt Teil der Ausbildung sein. Problematisch sehen wir gerade das frühe Sortieren von Kindern auf die unterschiedlichen Schultypen. Dies verbaut Entwicklungschancen und demotiviert! Daher wollen wir, dass alle Kinder mindestens bis zur 9. Klasse gemeinsam lernen. Deutschland gibt im OECD Schnitt zu wenig Geld für Bildung aus. Dies wollen wir mit dem Bildungs-Soli ändern, indem wir den „Soli“ zum Teil für den Bildungsbereich zielgerichtet nutzen. Außerdem soll eine Reform der Erbschaftssteuer weiteren finanziellen Spielraum für Bildungsinvestitionen bringen. An den Hochschulen wollen wir den Zugang erleichtern und die hohen Hürden, die durch einen Mangel an Studienplätzen und durch Studiengebühren entstanden sind, wieder senken. Dazu führen wir ein Zwei-Säulen-Modell zur Studienfinanzierung ein, das das bisherige Bafög ersetzt. Inhaltlich wollen wir die Verschulung und Arbeitsüberlastung in den neuen Studiengängen zurücknehmen und dafür Sorge tragen, dass Praktika, Auslandsaufenthalte und zivilgesellschaftliches Engagement sich auch mit einem Bachelorstudium vereinbaren lässt.

 

Das Thema lebenslanges Lernen wird immer wichtiger. Welche Konzepte haben Sie und Ihre Partei in diesem Punkt?

 

Wir wollen Weiterbildung und lebensbegleitendes Lernen für alle Menschen möglich und attraktiv machen. Wer die Schule abgebrochen hat, soll eine zweite Chance bekommen, die ungelernte Monteurin oder der ungelernte Monteur einen Abschluss nachholen können und die oder der 50-Jährige bei ihrem Wunsch nach Qualifizierung unterstützt werden. Zentrale Voraussetzung dafür ist die Einführung eines Erwachsenen-BAföG, das keine Altersgrenzen und Berufsbeschränkungen kennt. Durch einen Mix von Zuschüssen und Darlehen können Berufsabschlüsse nachgeholt und Weiterbildungen finanziert werden. Stiefkind der Bildungspolitik bleibt vor allem die Weiterbildung. Wir brauchen mehr Initiativen, um Menschen aus sozial benachteiligten Schichten weiterzubilden. Angesichts des Fachkräftemangels ist es ein verheerendes Signal, das Lebenslange Lernen links liegen zu lassen.

 

Bitte stellen Sie uns kurz die wesentlichen bildungspolitischen Eckpunkte dar.

 

Unser Bildungswesen bietet den meisten Kindern keinen optimalen Start ins Leben und blockiert die Entwicklung vieler junger Menschen. Herkunft und Geldbeutel der Eltern entscheiden allzu häufig über Bildungschancen. In keinem anderen Land Europas ist der Bildungserfolg derart von der sozialen Herkunft abhängig wie bei uns. Und die Chancen für Kinder aus Nicht-Akademiker´-familien, an einer Hochschule zu landen, sind um ein Vielfaches schlechter als die von Akademikerkindern. Deshalb wollen wir die Blockaden auflösen und eine durchlässige Gesellschaft, in der Kindern und Jugendlichen, mit und ohne Behinderung, die Welt offen steht, in der sie ihre Interessen verfolgen und Berufswege frei wählen können. Wir brauchen einen grünen Neuen Gesellschaftsvertrag, der mit guter Bildung Chancen und Perspektiven schafft, anstatt

Bildungsarmut immer weiter zu verfestigen. Dazu gehören Bildungseinrichtungen, in denen alle ungeachtet ihrer Herkunft und ihres Geschlechtes gefördert werden und in denen alle bessere Leistungen erbringen können. Bildung „made in Germany“ muss ein Qualitätssiegel für optimale Lernbedingungen werden. Wir brauchen eine Bildungsoffensive für mehr Chancengleichheit in unserem Land.

 

Welche besonderen Impulse gibt Ihre Partei im Hinblick auf die berufliche und betriebliche Weiterbildung und Qualifizierung von Mitarbeitern in Unternehmen?

 

Die Menschen in unserem Land wollen und sollen immer länger arbeiten. Doch darauf ist der Arbeitsmarkt noch nicht eingestellt. Daher setzen wir uns ein für Weiterbildung und Qualifizierung und gute Arbeitsbedingungen.

Grundsätzlich müssen wir zunächst den Schutz vor Stress und psychischer Belastung am Arbeitsplatz verbessern und auch die betriebliche Gesundheitsförderung erhöhen. Wir wollen erreichen, dass Arbeitszeitkonten für Weiterbildung genutzt werden. Sie müssen beim Arbeitsplatzwechsel mitgenommen werden können und gegen Insolvenz geschützt sein. Individuelles Bildungssparen soll für alle Menschen ähnlich wie das Bausparen möglich sein und vor allem für Geringverdiener besonders staatlich gefördert werden. Nötig sind außerdem eine gute Bildungsberatung für alle, die über passende Angebote und Finanzierungsmöglichkeiten informiert, und besondere Beratungsangebote für kleine und mittlere Betriebe, damit die betriebliche Weiterbildung ausgeweitet wird.

 

Wie motivieren Sie sich selbst bei Ihrer anspruchsvollen politischen Aufgabe?

 

Ich bin hineingewachsen in eine Zeit, die sehr politisch war und in der Theoriediskussionen eine große Rolle spielte. Im Unterschied dazu ging es mir in meinem Engagement immer und zuallererst um ganz praktische Dinge, um den Kampf für Bürgerrechte, gegen AKW´s, für soziale Gerechtigkeit. Triebkraft war und ist dabei immer ein Gerechtigkeitsempfinden und auch eine Einsicht, die mir meine Oma, die den heiligen Franziskus sehr verehrte, nahe gelegt hat: Mir kann es nicht gut gehen, wenn es meinem Nächsten schlecht geht. Ein gutes Leben gibt es nicht im „Alleingang“, die anderen Menschen, ihr Leben und ihre Chancen gehören ganz wesentlich mit dazu.